Zum Abschied von Albert Bichlmeier

Lieber Albert,

55 Jahre lang warst Du aktives Mitglied der „Dellnhauser Musikanten“. Du hast diese erfolgreiche Gruppe zusammen mit ihrem Gründer Michl Eberwein musikalisch geprägt. In zweiter Generation wird sie von Sohn Michael Eberwein geleitet. Er sollte heute hier stehen, um zur Trauergemeinde und zu Dir zu sprechen. Doch der Michi ist erkrankt.
Er hat er mich gebeten, an seine Stelle zu treten – stellvertretend für die Dellnhauser Musikanten und die Familie Eberwein.

 

So überbringe ich jene Grüße, die man die letzten nennt. Es gibt Freundschafts­dienste, die einem – weiß Gott – leichter fallen. Die Anlässe, die ich mit Dir, lieber Albert, bisher in Verbindung bringen durfte, waren stets erfreuliche, ja beschwingte gewesen.
Der heutige Anlass ist ein trauriger. Wir nehmen Abschied von Dir. – Aber nicht ohne eine gute Nachred wie sie ein anständiger Mensch wie Du verdient.

Unser letztes Telefonat liegt schon eine Zeitlang zurück. Das „Pfüa Di Gott“ habe ich damals im Vertrauen darauf ausge­sprochen, dass wir uns wiedersehen. Jetzt hat dieses „Pfüa Gott“ mit einem Mal eine ganz andere Dimension bekommen. Denn die Freude auf ein Wiedersehen bleibt uns – zumindest in diesem Leben – versagt.

 

45 Jahre liegt unsere erste Begegnung bei den Dellnhauser Musikanten zurück.
Danach boten weit über Tausend gemeinsam absolvierte Spielanlässe genug Gelegenheiten, um einander kennen- und schätzen zu lernen.

 

Du hattest Dein Debüt bei den Dellnhauser Musikanten schon 1950. Als Aushelfer solltest Du damals anstatt Deines Vaters Hans mitspielen.

Keiner kannte Dich. Deshalb äußerte sich Sepp Fliegel, der Klarinettist der Gruppe,
der nach dem Krieg aus dem Südböhmischen herübergekommen war, mehr als besorgt: „Um Gottes Willen, der Bichlmeier schickt uns seinen Sohn! Ob das gutgeht?“ –

Es ist gutgegangen. Schon die ersten Takte, die Du, Albert, auf Deiner Trompete intoniert hast, überzeugten. Und sie waren der Auftakt – nicht nur für die weitere Mitwirkung, sondern ebenso für Deine kongeniale musikalische Partnerschaft und lebenslange Freundschaft mit Michl Eberwein.

 

Der legendäre Roider Jackl hat Deinen Einstieg kurz darauf bei einem Eurer Auftritte kommentiert:

„De Dellnhauser, dem ham iatz an junga Trompeta dabei. Spinndldürr is-a, aba blosn duat-a wia a Herrgott!”

 

Deinem virtuosen Trompetenspiel hattest Du im selben Jahr Deine Lebensstellung im Theater am Gärtnerplatz zu verdanken. Damals warst Du das jüngste Orchestermitglied. 42 Jahre später hast Du als dienstältester Theatermusiker Deinen verdienten Ruhestand angetreten.

 

Allerdings nicht bei den Dellnhauser Musikanten.

Dort hast Du weiterhin die 1. Trompete gespielt, und zwar im doppelten Wortsinn.
Denn ihr Repertoire hast Du neben den Musikstücken von Michl Eberwein mit zahlreichen Walzern, Landlern, Polkas und Drehern bereichert. Und, ganz wichtig, Du warst von Anbeginn der Arrangeur der Gruppe. Deinen Bearbeitungen verdanken die Dellnhauser Musikanten ihren unverkennbaren Klang.

Diese ausgefeilten Bichlmeier’schen Arrangements sowie ihre perfekte Interpretation ließen die geschulten Ohren mancher Redakteure des Bayerischen Rundfunks aufhorchen. Und so sind die Dellnhauser Musikanten dort seit den 1950er Jahren nicht mehr aus den Hörfunkprogrammen und einschlägigen Fernsehformaten wegzudenken.

Weit über 400 Studioeinspielungen finden sich allein im Hörfunkarchiv – allesamt arrangiert von Albert Bichlmeier.

Doch damit nicht genug: Denn die Dellnhauser Musikanten, die mit Hallertauer Volksmusik bekannt geworden sind, spielten auf Tanzveranstaltungen und großen Bällen stets auch moderne Musik. Die schier unzähligen Bearbeitungen von Standardtanznummern, Evergreens, Operettenmelodien, Schlagern und Hits entflossen alle Deiner Notenfeder.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Wenn Du bei einem der zahlreichen Spielanlässe ein neues Arrangement mitgebracht hast, gab es nie etwas daran zu verbessern – und auszusetzen schon gar nichts. Deine Arrangements waren immer perfekt.

Die technischen Möglichkeiten der einzelnen Instrumente, der Zusammenklang der Stimmen, die individuellen Fähigkeiten der mitwirkenden Musiker – stets hattest Du alles bestens aufeinander abgestimmt.

 

Auch für viele andere Kapellen hast Du Musikstücke bearbeitet. Deine musikalischen Gaben hast Du in geradezu verschwenderischer Weise unters Musikantenvolk gestreut.

 

Als ich mich dieser Tage mit dem Eberwein Michi unterhielt, sagte er, seinen musikalischen Werdegang habe er seinem Vater Michl zu verdanken. Und er fügte hinzu: „Alles, was ich auf der Trompete kann – Technik, Intonation, Phrasierung, Stilistik – verdanke ich dem Albert.“

 

Einer unserer Holzbläser hat das einmal so beschrieben: „Michi, wenn i net wüsst, dass Du heut nebm mia sitzt, daat i moana, da Albert waar’s.“

Ich meine, dies dürfen wir als Kompliment für beide werten: für den Michi als gelehrigen Schüler und für den Albert als fähigen Lehrmeister.

 

Lieber Albert, Deine Verdienste kann ich hier gar nicht alle aufzuzählen. Aber sei gewiss: Zu schätzen wussten und wissen wir sie immer.

 

Eine andere, eine liebenswerte Eigenschaft des Albert Bichlmeier sei noch erwähnt.
Wie es dazu kam, davon hast Du mir mehrmals erzählt:

1929 in Freising geboren, aufgewachsen in schlechten Zeiten, musstest Du als Kind erfahren, wie sehr Hunger wehtun kann. Des Öfteren bist Du als Bub deshalb an die Klosterpforte von Neustift getreten, hast an der Glocke gezogen und vor dem Klosterpförtner ein Vaterunser gebetet. Dafür gab’s ein Stück Brot, das Deinen großen Hunger stillte.

Geprägt von dieser Kindheit, erfreutest Du Dich immer an gutem Essen und einem vollen Teller. Blieb bei Hochzeiten am Musikantentisch etwas übrig, hast Du es sorgfältig eingepackt und im Trompetenkoffer verstaut. Die Trompete hast Du dann unterm Arm nach Hause getragen.

Bei unseren Gesprächen ging es übrigens oft ums Essen. Nicht nur einmal hast Du mir dabei wissen lassen: „Maxl, hungrig möcht i amoi auf gar koan Fall sterbm!“ Ich gehe davon aus, dass Dir das gelungen ist.

Dein Sohn Reinald bestätigte mir zumindest: Seniorenportionen hast Du nicht geschätzt.

 

Im übertragenen Sinne gesprochen durftest Du, lieber Albert, ganz bestimmt auch ein sattes, ein erfülltes Musikerdasein genießen. Dabei konntest Du unzählige kulturelle Anlässe mitgestalten, so vielfältig wie sie das Leben eben mit sich bringt: Theatervorstellungen, Volkstänze, Hochzeiten, Bälle, Konzerte, Kirchenmusik, Fronleichnamsprozessionen und, ja, auch Trauermusiken.

 

Wie Du Anderen so viele Male die letzte Ehre musikalisch erwiesen hast, begleiten Dich heute Deine Musikerkollegen hinaus auf den Gottesacker.

Die vertrauten Töne mögen Dir das Hinübergehen, den Heimgang in Gottes Herrlichkeit, wie es heißt, erleichtern.

Kein Mensch weiß, was uns dort erwartet. Der Herrgott ist uns keine Erklärung schuldig.  

Aber wenn Franz von Kobell mit seiner wunderbaren Geschichte vom Brandner Kaspar, der ins Paradies schauen durfte, recht behalten sollte, dann wirst auch Du, lieber Albert, mit Freuden von denen erwartet, die Dir vorausgegangen sind.

Außerdem fehlt den „alten Dellnhausern“ seit geraumer Zeit die 1. Trompete.
Mit Dir sind sie nun wieder komplett.

Dem Herrgott sind Bläser willkommen, denn der Himmel hängt nicht nur voller Geigen.

Also, spielt‘s auf!

 

Dr. Maximilian Seefelder

8. Januar 2025